Am 1. September 2020

Endlich war ich an der Reihe, mich vorzustellen, es war bereits 14.30 Uhr. Unser Kennenlernprogramm bei der Massaicommunity auf der Südseite der Ngong Hills, etwa 35 km von meiner Oseki Farm entfernt, sollte eigentlich nur zwei Stunden dauern. Aber bis wir fünf Gäste, Simiyu, Felistas, Veronicah, Tonny und ich, unsere mitgebrachten Bäume in dem Community Garden gepflanzt hatten und sich anschließend unweit davon alle 18 „leaders“ von zwei CBOs – Community Based Organisations – in einem Gemeinschaftraum vorgestellt hatten, waren bereits vier Stunden vergangen.

Beeindruckt und erschöpft zugleich wollte ich mich kurzfassen, aber kaum fing ich an, war ich nicht mehr zu bremsen. Ich erzählte von meiner inzwischen 30-jährigen Begegnung mit Afrika, meiner Herkunft und was unsere Kulturen und Gesellschaften unterscheidet, worin meines Erachtens unsere große Chance und unsere Herausforderung liegen. Die Worte flossen in Bildern und Geschichten, untermalt von lebhafter Mimik und Gestik, wie ich es zu meinen besten Lehrerzeiten nicht kannte. Meine ZuhörerInnen saugten förmlich meine tiefsten Einsichten und persönlichsten Erlebnisse aus mir heraus mit ihren wachen Augen, ihrem Lachen, Staunen, Klatschen, ihrer unglaublichen „Präsenz“. Über mich selbst höchst erstaunt und gleichzeitig sehr zufrieden, setzte ich mich wieder und wusste: Jetzt sind wir uns begegnet, jetzt sind wir Freunde! Das könnte der Anfang von etwas „Großem“ sein. Nicht nur, weil ich mich hinreißen ließ, mein Herz weit zu öffnen, sondern vor allem auch, weil meine Vorredner einen solchen starken Eindruck hinterließen.

Vor 12 Jahren begannen drei von ihnen, der Direktor Emanuel Millip Munkura, der Sekretär Geoffrey Tajeu Nkoitiko und der Chairman Wilson Kamalyet Paramali die erste CBO als eine Selbsthilfegruppe zu gründen mit dem Ziel, ihre sozialen und ökonomischen Herausforderungen besser zu meistern. Zum Beispiel die Beschulung der Kinder und die Versorgung ihrer Witwen zu gewährleisten, die Beschneidung der Mädchen zu verhindern und überhaupt sich für die Rechte der Frauen in ihrer Community einzusetzen. Sie wissen, dass sie als kulturelle Minderheit in einer globalisierten Welt ihre Gewohnheiten ändern, einige ihrer „Tabus“ überdenken müssen. „We have to kill our tabu not to touch the soil“, erklärte der Direktor und „we need to change our customs that women do not inherit“.

Dieser gut strukturierte und diszipliniert geführte gemeinnützige Verein hat inzwischen 700 Mitglieder und hat sich durch einen zweiten Verein erweitert. Die Mitglieder kommen aus weit voneinander entfernten Massaicommunities und sind in sogenannte Cluster organisiert. Zwischen 27 und 45 Mitglieder gehören zu einem Cluster. Jeder zahlt einen monatlichen Beitrag, von dem dann verschiedene Töpfe für Schulgeld, für Witwen usw. gespeist werden. Zuspätkommen zu den Treffen wird mit Bußgeld geahndet und jeder Betrag, der eingeht und ausgegeben wird, wird fein säuberlich in Exceltabellen festgehalten. Jedes Mitglied ist mit Foto, Herkunft und Zugehörigkeit registriert.

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Die Pflege der Beziehungen hat eine hohe Priorität. Jede/r stellt sich vor mit seinem/ihrem Namen und aus welcher Familie er/sie stammt, die Familie wird geachtet und die Ahnen geehrt. Alle kamen in Massai-Tracht, obwohl die vier Vertreter der Jugend abgeschlossene Universitätsstudien haben oder noch studieren. Eine Medizinstudentin, schwer behangen mit dem so typischen Massaischmuck, rezitiert auf Einladung des Direktors kraftvoll und ausdrucksstark ihr eigenes Gedicht über die Beschneidung der Frauen – in ihrer Sprache natürlich. Der Direktor und zwei der „leader“ waren bereits mehrfach im fernen Ausland und haben u.a. an Universitäten Vorträge gehalten. Das Lieblingsthema und die besondere Kompetenz des Direktors, der freimütig gesteht keinen Schulabschluss zu haben, sind Fragen rund um „Leadership“. Er spricht von den Werten, die sie als Massai hochhalten: Respekt, Verantwortung und Mut! Ja, bei Leadership geht es vor allem um das Teilen gemeinsamer Werte. Er bietet an, unsere Freunde im Kangemi Slum bei ihren Herausforderungen, eine eigene Organisation aufzubauen, zu unterstützen.

Unsere neuen Massai-Freunde konnten bereits mit zusätzlichen Fremdmitteln einen eigenen Brunnen bohren, eine Solarpumpe installieren und einen Garten mit vielen Zwiebeln anlegen, bewässert mit einem sogenannten „dripping system“, ein System von durchlöcherten Schläuchen, die an den Wassertank angeschlossen sind.

Als sie von unserem mobile/landless farming Projekt hörten, waren sie sofort interessiert. „Viele unserer Jugendlichen haben noch nie ein Gartenwerkzeug in der Hand gehalten“, erklärte der Direktor Emanuel.

Es gibt einen kleinen Clip von unserer Begegnung, viel Spaß beim Anschauen!
Irmgard Wutte

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